Medikamentenmagel im Landkreis Weilheim immer schlimmer: Apotheker gießen wieder selbst Zäpfchen

2023-01-05 16:18:53 By : Ms. Binger Binger

Apotheker im Landkreis betreiben aktuell einen immensen Aufwand, damit ihre Kunden überhaupt noch mit den passenden Medikamenten versorgt werden können. Apotheker-Sprecher Philipp Kircher aus Peißenberg erzählt im Interview von Antibiotika aus Portugal, Zäpfchen-Produktion wie anno dazumal und Kunden, die für eine Art Tabletten-Tauschbörse spenden möchten.

Das stimmt in der Tat. Gerade eben haben wir beispielsweise versucht, für ein Kleinkind ein Antibiotikum aus Portugal aufzutreiben.

Der Markt für einige Arzneimittel, darunter auch Antibiotika, ist bei uns weitgehend leer gefegt. In Einzelfällen lässt das deutsche Arzneimittelgesetz auch einen Import aus dem Ausland zu. Aber dieser Weg ist mit enormem Aufwand verbunden und stark reglementiert. Es dürfen dabei beispielsweise nur Kleinstmengen eingeführt werden und eine Lagerhaltung ist untersagt.

Etwa in dieser Größenordnung. Wir halten bei jedem einzelnen Fall Rücksprache mit dem Arzt und klären ob nicht doch ein alternatives, auf dem deutschen Markt verfügbares Arzneimittel in Frage kommt. Im Falle des Imports folgt noch ein weiterer bürokratischer Aufwand. Wir hatten alleine in dieser Woche circa zehn solcher Einzelimporte.

Wir flicken die Löcher, so gut es geht, insbesondere auch durch Eigenherstellungen, um das Schiff einigermaßen über Wasser zu halten. Ein Dauerzustand kann das jedoch nicht sein.

Das Prozedere an sich ist nicht neu, wir springen seit jeher regelmäßig bei Lieferengpässen durch die Industrie ein und finden meist Alternativen. So extrem wie im jetzigen Ausmaß ist die Problematik jedoch noch nie aufgetreten. Aktuell beschäftigt sich bei uns eine Mitarbeiterin von morgens bis abends nahezu ausschließlich mit der Herstellung von Fieber- und Schmerzsäften.

Wenn ich Personalkosten und Material kalkuliere, dann kostet mich eine Flasche Ibuprofen-Saft in der Herstellung etwa 15 Euro. Erstattet bekomme ich von der Krankenkasse rund fünf Euro.

Die Kostenfrage stelle ich jetzt erstmal hinten an, hier geht es primär um eine Allgemeinwohlaufgabe, um die zeitnahe Versorgung akut kranker Kinder.

In den letzten zwei Wochen eine Zahl im unteren dreistelligen Bereich. Am zweiten Weihnachtsfeiertag habe ich Notdienst, das wird auch nochmal spannend.

Ein bisschen schon. Wir gießen jetzt auch selber Zäpfchen mit einer speziellen Gießform. Das ist noch reine Handarbeit.

Es ist eine Herausforderung, und ja: Wir müssen uns auf Dauer die Frage stellen, möchten wir ein hochwertiges, leistungsfähiges und auch nachhaltiges Gesundheitssystem oder akzeptieren wir den jetzigen, maroden Zustand? Ökonomisch gesehen kostet die Gesellschaft der Krankenhaus-Besuch eines medikamentös schlecht versorgten Kindes mehr als die rechtzeitige Versorgung mit einem vergleichsweise höherpreisigem Präparat.

Ich versuche, es diplomatisch zu formulieren: Solch populistische Aussagen halte ich doch für befremdlich, weil fachlich wenig fundiert. Arzneimittel sind ein sensibles Gut und gehören in professionelle Hände. Zum Thema verfallene Medikamente: Abgelaufene Arzneimittel können potenziell toxische Abbauprodukte bilden, welche in der Lage sind, die Gesundheit der Patientinnen und Patienten massiv zu schädigen. Dazu kommt gerade bei Antibiotika die Problematik, dass diese bei falscher Anwendung das eh schon massive Problem der Resistenzbildung noch zusätzlich befeuern.

Das kommt noch dazu. Arzneimittel werden stets individuell verordnet und bei der Abgabe Interaktionen mit anderen Medikamenten durch die Apotheke abgeklärt. Wenn ich meinem Nachbarn nun Medikamente überlasse, die für mich gut geeignet sind, können sie bei Ihm schwerwiegende Probleme verursachen. Und dann gibt es da noch einen weiteren kritischen Aspekt: Ein Arzneimittel-Flohmarkt würde Tür und Tor öffnen für Schwarzmarkt-ähnliche Zustände.

Nein, wir hatten bereits die ersten Fälle von Patienten, die ihre angebrochenen Arzneimittel bei uns abgeben wollten, da sie von diesen „Flohmarkt-Ideen“ gelesen hatten. Gut gemeint, jedoch wenig zielführend.